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DAS MÜLLPROJEKT

03.–18. Juni 2017

stoerer

Design, Kunst und
Theorie Festival

Recyclinghof St. Pauli

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U-Bahn Feldstraße, das Heiligengeistfeld, der Flakbunker, das Millerntor Stadion, die Rindermarkthalle, eine Tankstelle und mittendrin ein Recyclinghof: Gibt es einen geeigneteren Ort in Hamburg, um sich der Müllkultur unserer Zeit zu nähern? Der Recyclinghof St. Pauli ist im Juni 2017 für 42 Stunden an 6 Tagen eine öffentliche Plattform. 

Müll wird in Form von Objekten, Videos, Vorträgen, Workshops, Interventionen, Performances und echtem Schutt in Containern präsentiert und verhandelt: Das MÜLLPROJEKT, konzipiert von dem dreiköpfigen Hamburger Kuratorenteam mit der Designtheoretikerin und Künstlerin Anke Haarmann, dem Philosophen Harald Lemke und der Konzeptkünstlerin Nana Petzet, in Kooperation mit der Stadtreinigung Hamburg.  

Das MÜLLPROJEKT verwandelt gemeinsam mit lokalen und internationalen Gästen den Recyclinghof St. Pauli in eine Plattform für künstlerische, theoretische und designerische Aktionen. Die städtische Sammelstelle, zur temporären Bühne umgenutzt, macht das Müllthema sinnlich verdichtet erfahrbar: Mit jedem Wurf in einen der Container wird aus privatem Abfall ein kommunaler Wertstoff. Das im Rahmen des Elbkulturfonds durch die Behörde für Kultur und Medien Hamburg geförderte Projekt findet an den ersten drei Wochenenden im Juni 2017 auf dem Recyclinghof St. Pauli in der Feldstraße 69, 20359 Hamburg (U3, MetroBus 3 + 6) ab nachmittags statt. Die Programmteilnahme und der Ausstellungsbesuch sind kostenfrei.

Wege zum Müll

Einige der zahlreichen Fragen, die sich einem müllbewussten Denken stellen, sind beispielsweise: Wie ist die gegenwärtige Praxis der kommunalen und gewerblichen Abfallentsorgung zu bewerten und wohin geht die Entwicklung? Gibt es wirklich nachhaltige Kreisläufe, die weder zu einer Ressourcenvernichtung noch zum Downcycling führen? Was heißt schon Recycling? Und was hindert uns daran, Wegwerfen durch Upcycling zu ersetzen?

Am Umgang mit dem Abfall lasse sich der Stand einer Zivilisation ablesen, meinte der französische Psychoanalytiker Jacques Lacan. Bislang ist unser Umgang mit Resten und Altlasten von einer Strategie der Abwertung geprägt: Mit dem Urteil »das ist Müll« wird etwas endgültig für wertlos erklärt und aus unserer Wahrnehmung und Wertschätzung verbannt.

Wachsende Müllmassen und schwindende Ressourcen fordern zu einem veränderten Umgang mit Abfall auf und machen eine ästhetische Umwertung des Wertlosen erforderlich. Dabei gewinnen alternative Initiativen wie Müllvermeidungsblogs oder Upcyclingtrends außerhalb der etablierten Abfall- und Kreislaufdiskurses an Bedeutung, die das Recycling, die Umnutzung oder Aufwertung und die Vermeidung von Müll zum Ziel haben. Diesen kulturellen Wandel will das MÜLLPROJEKT durch künstlerische, philosophische und designerische Mittel reflektieren und auf kritisch-kreative Weise Trash in Treasure, Wertloses in Wertvolles verwandeln.

Ästhetik und Müll

Transformieren lässt sich die Müllproduktion aber nicht mittels einer reinen Wahrnehmbarmachung durch Kunst, sondern indem kulturelle Praktiken als ästhetische Interventionen fungieren und eine praktische Ermutigung initiieren. Statt also Abfall bloß ästhetisch in Szene zu setzen und in Müllobjekten zu auratisieren, bedarf es vielmehr einer »Vermüllung der Ästhetik« – einer Störung des Bildes, dass alles wieder schön wird – einer intensiven Bearbeitung der Müllproblematik durch Kunst, Design und Philosophie. Wir fragen: Was nehmen wir überhaupt als »Müll« wahr? Können Strategien der Müllvermeidung zu zukunftsweisenden kulturellen Praktiken aufgewertet werden? Und wie geht die Gesellschaft mit ihrem Müll um? Lässt sich das Müllproblem designerisch lösen? Welche philosophischen Prinzipien werden ein solches Transformationsdesign leiten?

Kontextualisierung

Wir schlagen vor, die allerorts produzierte, massenhaft verfügbare und darüber hinaus ständig nachwachsende Ressource »Müll« zu nutzen, um aus einem globalen Problem ein »anthropoethisches Projekt« zu machen. Es darf vermutet werden, dass das Müllproblem der gesellschaftliche Ausdruck oder, genau genommen, der gesellschaftliche Abfall einer kollektiven Gleichgültigkeit ist. In der kurzen Ära der kapitalistischen Industrialisierung und deren Globalisierungsprozesses wurden die überall größer werdenden Müllmassen der modernen Wegwerfgesellschaft als unerhebliche Begleiterscheinungen des Fortschritts behandelt. Doch mit dem wachsenden Wohlstand sind auch dessen unschönen Begleiterscheinungen und Altlasten gewachsen. Tatsächlich führt uns die unreine Vernunft unseres Wohlstandsmodells die krisenhafte Einsicht vor Augen, dass das Fest eventuell zu Ende geht. Denn jeden Tag spüren es die Menschen ein wenig mehr: Der Müll ist dabei, uns über den Kopf zu wachsen, er droht den Planeten unbewohnbar zu machen. 

Das Projekt

Das Projekt sucht nach Auswegen aus dem Schicksal einer drohenden Totalvermüllung: Mit einer Reihe von theoretischen Vorträgen, künstlerischen und designerischen Forschungsarbeiten und praktischen Werkschauen wollen wir den vorhandenen Müll als wertvolle Ressource der ethischen Selbstbesinnung nutzen und zu einen nachhaltigen Stoff des gesellschaftlichen Umdenkens aufwerten. Die Ausstellung oder, zutreffender, die ästhetische Veranschaulichung eines möglichen, anderen Abfallmanagements findet auf dem Gelände eines zentral gelegenen Recyclinghofs der Stadt Hamburg statt. Von diesem besonderen Ort aus werden die mögliche Zukunft und die gesellschaftlichen Perspektiven von Müllminimierungen jeder Art erkundet. 

Das Thema wird am Ort des Mülls verhandelt und präsentiert. Künstler_innen und Designer_innern arbeiten mit oder gegen den Abfall und stellen ihre Visionen vor. Müllexpert_innen und Modeschöpfer_innen sind eingeladen, ihr Know-how im Umgang mit Materialresten zu zeigen. Abfallexpert_innen und Theoretiker_innen sprechen über die Realität der Wertstoffe und das utopische Potential von Altlasten. Vielleicht landet unsere Wegwerfgesellschaft doch dort, wo sie hingehört: auf dem „Misthaufen der Geschichte“ (Karl Marx), um der Nährboden einer erstrebenswerten Zivilisation zu werden, die keinen Müll kennt.